SCHEIN | LICHT | SCHEIN vom 08.06.2018, Ansprache von Marion Thielebein
Vera Oxfort – imaginäres Licht
Vera Oxfort hat, wenn man das so sagen darf, auch ein Leben vor der Malerei. Sie ist in Rio de Janeiro geboren, in der Schweiz, in der Nähe von Zürich, aufgewachsen und hat zunächst eine Goldschmiedeausbildung absolviert. In diesem Beruf hat sie mehrjährig gearbeitet, ehe sie 2004 nach Potsdam gezogen ist. Ein Umzug und Umbruch, der dazu führte, dass sie 2008 ein Studium der Malerei an der Akademie für Malerei aufgenommen hat. Als Meisterschülerin von Andreas Amrhein hat sie es 2014 mit mehreren Werk-Präsentationen abgeschlossen.
Seitdem arbeitet sie als Malerin, ist in zahlreiche Projekte involviert, und stellt verstärkt im
Berliner und Brandenburger Raum aus. Ihre häufig großformatigen Bilder, die sich in verschiedenen öffentlichen Sammlungen befinden, entstehen, indem sie Öl auf Leinwand oder Baumwolle aufträgt, dabei aber die Bildträger auf dem Boden liegend bearbeitet und so selbst „im“ Bild steht oder kniet. Die leere Fläche wird im wahrsten Sinn des Wortes mit ihrer Energie gefüllt, da sie häufig mit einer Hand Farbe aufträgt und mit der anderen gleichzeitig intuitive Linien zeichnet. Der Stift formt die Bewegung, die das spätere Bild meist noch mittransportiert, auch wenn die ursprünglichen Zeichenelemente von zahlreichen Farbschichten überlagert werden. Manchmal wird auch in einem Zug herstellend und ausradierend gearbeitet. Diese Arbeitsweise hat Andreas Amrhein von einem „Energieteppich“ sprechen lassen, bei der jede Schicht, auch die, die wieder verschwunden ist, spürbar bleibt.
Zeichnerische und malerische Elemente wirken also stets zusammen. Die Linien des Stifts
verweben sich mit den Farben und bleiben dennoch schwächer oder stärker erkennbar. Das ist besonders gut an den Rändern der größeren der beiden hier ausgestellten Arbeiten „Iris“ von 2017 zu sehen. Der Strich gibt die Bewegung vor. Mit ihm kommt eine Emotionalität ins Bild, die von den Farben aufgenommen oder abgefedert wird, über ihn wird ein Spannungsfeld angelegt, das im Herstellen und wieder Auslöschen besteht.
So entstehen Vera Oxforts Bilder Schicht für Schicht. Das Arbeiten besteht im Herstellen und wieder Auslöschen, im Malen und Übermalen – so lange, bis der genaue „Ton“ getroffen ist. Das „Insichstehen“ eines Dinges wird vom „Herstellen“ aus gedacht. In Bezug auf den Krug hatte Martin Heidegger gefragt: „Doch was heißt es, das Fassende stehe in sich? Bestimmt das Insichstehen den Krug schon als ein Ding? Der Krug steht als Gefäß doch nur, insofern er zueinem Stehen gebracht wurde. Dies geschah indessen, und es geschieht durch ein Stellen, nämlich durch das Herstellen. (...) Die Leere, dieses Nichts am Krug, ist das, was der Krug als das fassende Gefäß ist.“
Wenn wir in diesem Sinn von der Leere ausgehen und die kleinere Arbeit von Vera Oxfort, die Arbeit „Mo“ von 2017 befragen, worin sich die Leere hier zeigt, dann lässt sich dies zweifach beantworten: Zum einen heißt „nani mo“ auf japanisch „Nichts“. Der Titel dieser Arbeit ruft so bereits Assoziationen zur Leere auf. Es handelt sich um einen Titel, der bereits 2013 für eine weitere, helle Arbeit benutzt wurde, die aber – im Gegensatz zur hier ausgestellten von 2017 – einen rötlichen Schimmer um sich herum verbreitet. Hier dagegen sieht man eine weißliche Fläche, die von dunkel-rötlichen Rändern und einigen Bleistiftstrichen in diesem dunklen Bereich umgeben ist. Kein Schimmer fällt von der dunklen Farbe auf die umgebende weiße Wand. Im Gegenteil: Es scheint fast so, als würde die weiße Wand auf der das Bild hängt, durch das Weiß der Fläche aufgehellt. Die Betrachter bleiben auf die weißliche Fläche, dieser nicht sehr großen Arbeit verwiesen. Nichts zu sehen also? Zu sehen ist eine sich weich zum schmalen dunkelroten Rand hin öffnende Fläche von hellen Farbtönen, in denen bei genauerem Hinsehen sich Schimmer von leichten Blau-Tönen ebenso ausmachen lassen, wie Nuancen gelblicher Töne. Die Helle der Fläche und der sie umfassende dunkle, durch die Striche bewegt wirkende Rand verleiht ihr scheinbar Körperlichkeit. Wie in Gotthard Graubners (1930-2013) berühmten „Stylit-Serie“ von 1968 changiert hier wie dort die helle Fläche zwischen Bild und dreidimensionalem Körper. Hier wie dort wird so eine Ferne aufgerufen, die in der Distanz bleibt und beim Betrachter gleichwohl „im Nu“ das Gefühl von Nähe herzustellen vermag. Das imaginäre Licht dieser Arbeit besteht in dem, was Walter Benjamin als Aura bezeichnet: Einem einmaligen Erscheinen einer Ferne, so nah sie sein mag. Die scheinbare Leere ermöglicht diese Wahrnehmung einer Aura, ohne dass man ihr je habhaft werden könnte.